Warten auf Koloman Brenner
Es war ein schwüler Nachmittag, als ich mein Auto vor dem Hotel Gemenc in Seksard parkte und sodann zur Rezeption eilte, um mich zu den Werkstattgesprächen vom Verband Ungarndeutscher Autoren und Künstler zu gesellen. Mein dauergewelltes, lockiges Haar (hm, damals hatt ich noch welches…), adjustierend packte ich meine Siebensachen in meinem Zimmer aus und wollte mich natürlich nach der langen Reise stärken, also ran an die Bar des Hotels, das so wunderbar den real existierenden Sozialismus widerspiegelte. Im Vorfeld wurde mir, der sehr frisch in diesem Kreise war, versichert, dass ein Kollege aus Deutschland, Jochen Haufe, mein Mentor sein würde, um meinen ersten Gedichten, die ich wie bereits formuliert, eher als „Ventile in einer turbulenten Zeit“ verstanden hatte, den richtigen letzten Trimm zu geben und überhaupt, mich einführen sollte in die Kunst des Gedichteschreibens. Meine Gefühle zu dieser Zeit waren alles andere als eindeutig. Es schien mir eher ein Ulk zu sein, dass ich als „ernsthafter Dichter“ mit Leuten diskutieren sollte, die ich selber früher gelesen hatte. Damals war meine persönliche Warte ja eher die eines jungen Burschen, der im Beruf und in der Arbeit für die deutsche Minderheit in Ungarn voll eingestiegen war, und diese Gedichte und das Schreiben waren eher eine Sache, womit man sich selber einen Genuss bereitet, die aber sicher nicht besonders wertvoll sind…
An der Bar bestellte ich mein Bier und wartete darauf, bekannte Gesichter zu sehen. Solche kamen aber nicht. Nach kurzer Zeit gesellte sich ein dürrer Mann zu mir an die Bartheke, dessen Alter ich überhaupt nicht einschätzen konnte. Wir prosteten einander zu, als er sein Getränk bekommen hatte. Nach einigen Minuten führten wir bereits ein lockeres Gespräch, er war ebenfalls Deutscher, aber es war klar, dass er aus dem „Reich“ kam, wie man bei uns zu sagen pflegte, ohne dabei Böses zu denken. Er war, wie sich herausstellte, zu den Werkstattgesprächen gekommen, aber wir interessierten uns eher für den „herrlichen Birnenschnaps“, den ich dem Fremden vorgeschlagen hatte. Wir redeten über Ungarn, über die aktuelle Lage, über die Unfähigkeit der Menschen, ihr Leben zu leben, über Sachen, die mir seitdem vollkommen entfallen sind, weil sie nicht wichtig waren. Wichtig war, dass wir einander gefunden hatten.
Es sind nach geraumer Zeit doch einige bekannte Gesichter aufgetaucht an der Bartheke. Zuletzt kam Johann Schuth zu uns, der Chef der Neuen Zeitung und von VUdAK. Er begrüßte uns lächelnd und wandte sich mit den Worten an den Fremden: „Na Jochen, hast dich gut unterhalten?“ Mein Gegenüber antwortete: „Ja, fabelhaft, aber ich warte immer noch auf Koloman Brenner, du hast ja gemeint, dass der junge Kollege hierher kommt!“
NZ 33-34/2014