„Unter dominant ungarischem Himmel mit hoffentlich deutschen Gewittern” Koloman Brenner, ein ungarndeutscher Zornprophet, im Haus der Ungarndeutschen
Heiterer Himmel, schwüler Abend, still wartende Gäste am letzten Tag des schönen Monats Mai im Veranstaltungssaal des Budapester Hauses der Ungarndeutschen. Koloman Brenner eilt nach einer kleinen Verspätung zum Gästetisch, über die Verkehrsverhältnisse in Budapest schimpfend. Er setzt sich neben seinen Kollegen und Freund Karl Szabó, der heute abend moderiert, und legt einen Stapel seines Werks „Sehnlichst” aus. Sein erster selbständiger Band, versehen mit einem Nachwort des Germanisten Horst Lambrecht, wurde im März dieses Jahres vom Verband Ungarndeutscher Autoren und Künstler (VUdAK) herausgegeben.
Während der Lesung hält Brenner sein Leseexemplar fast zärtlich in der Hand und läßt es auch während des Gesprächs über die einzelnen Gedichtzyklen nicht los. Denn das dünne Buch ist kostbar: Es enthält die Arbeit mehrerer Jahre, Ergebnisse langer Sitzungen und Werkstattgespräche. Manche Gedichte reifen schon seit 1998 und sind, wie ihr Schöpfer sagt, „nur druckreif”, aber noch nicht fertig.
Die sprachliche Sorgfalt und der Ernst im Inhalt komme halb vom Dichter, halb vom Linguisten, gibt Brenner zu. Die Zeilen tragen seine Kritik und seine Skepsis mit einer eleganten Ironie, welche die Verbitterung des lyrischen Ichs über alles Vergängliche verdeckt. Denn in den vorgelesenen Gedichten ist alles vergänglich, alles schmilzt dahin wie eine Kugel Eis in der Sonne: Das Leben, die Liebe, die Städte, die Sprache und die ungarndeutsche Identität selbst.
„Es war gute Arbeit / und jeder kommt / in den ungarischen Himmel” (Ungarndeutsch).
Betont gesetzte Schlußworte, expressive Bilder, die Celan in Erinnerung rufen, in ihrer Leichtigkeit vergänglich wirkende Impressionen lassen ein Lächeln im Gesicht des Vorlesenden erscheinen: Brenner ist ein bedachter Autor, der seine Meinung vertritt und mit pfiffigen Anekdoten, leicht zynischen Bemerkungen vertretbar macht. Er kümmert sich nicht um Literaturwissenschaftler, den „Mainstream” und liest in seiner Freizeit lieber das, was ihm von Freunden empfohlen wird. Er hat als „nichtsahnender Egoist” angefangen und hat mit Hilfe von Kollegen und Lesern entdeckt, wie Lyrik als Ventil für Gefühle und Energien helfen kann.
Durch die Auswahl von Gedichten führt Koloman Brenner mit sicherer Hand, die er seiner Welterfahrungen verdankt. Sowohl die Aussagen der Gedichte als auch seine Antworten auf die gestellten Fragen sind direkt, klar und präzise. Unumwunden sagt er, daß viele Ungarndeutsche aus falscher Rücksicht und überflüssigem Scham ihre Muttersprache verlernen. Er leugnet auch nicht, daß es ihm schmeichele, wenn eine Studentin in der Phonetikprüfung sein Gedicht „Gespeichert” lobt. Er gibt als frisch verheirateter Mann zu, daß ihm die Vorstellung Schwierigkeiten bereite, mit derselben Frau durchs ganze Leben zu kommen, aber daß man es doch immer wieder versuche. Er verrät auch, daß die gleichen Vornamen in seiner erotischen Dichtung unterschiedliche Frauen bedeuteten. Sogar in einem einzigen Gedicht könne der Dichter mehrere Musen versteckt haben.
Hinter Koloman Brenners Pose des ehrlichen Dichters steckt eine sehr überzeugende Ehrlichkeit. Diese Ehrlichkeit läßt ihm sagen: Standarddeutsch ergab sich als sein Werkzeug, weil das Ungarische ihm zu fremd wäre und der Ödenburger Dialekt den Lesern. Der Dichter, der durch sein dichterisches und biologisches Alter zwischen zwei Generationen steht, ist in seiner Heimat zu Hause und doch nicht. Das ist eine typische Erfahrung der ungarndeutschen Minderheit und ein Grund für seinen Zorn. Dieser nährt aber auch seine Hoffnung und seinen Trotz. Er hofft auf neue Talente in der ungarndeutschen Literatur wie die junge Prosaautorin Angela Korb, und wenn er selbst mehr Zeit hat, wird er einen Roman anfangen. Einen ungarndeutschen Roman mit ungarndeutschem Inhalt „unter dominant ungarischen Himmel mit hoffentlich deutschen Gewittern”.
Marianna Vágó
NZ 23/2007