Ungarndeutsches auf Ungarisch in der Zeitschrift Napút
Anfang August ist das Themenheft „Ungarndeutschtum” der ungarischen Zeitschrift Napút (Sonnenweg) für Kunst und Kultur herausgekommen. Es ist in diesem Jahr die fünfte Ausgabe des seit 1999 erscheinenden Periodikums, zugleich eine der bisher facettenreichsten. Das Heft fügt sich sehr gut ins Programm der Napút, die schon mit Spezialausgaben zur slowakischen, bulgarischen, rumänischen und Roma-Minderheit für die kulturelle Vielfalt Ungarns plädierte.
Die Nummer 5/2008 bringt eine breite Auswahl ungarndeutscher Literatur aus mehreren Generationen, darunter Lyrik bzw. Prosa von Erika Áts, Béla Bayer, Koloman Brenner, Robert Becker, Ludwig Fischer, Robert Hecker, Laura Kolbach, Angela Korb, Josef Michaelis, Stefan Raile, Engelbert Rittinger, Franz Sziebert und Stefan Valentin. Weiter sind Texte schon verstorbener, aber nicht vergessener Autoren wie Claus Klotz, János Szabó oder Valeria Koch versammelt oder Arbeiten von Autoren, die nicht in deutscher Sprache schreiben, sich jedoch ihrer ungarndeutschen Wurzeln bewußt sind und das thematisch in ihre Werke einfließen lassen, wie Balogh Robert, Elmer István oder Kalász Márton.
Dem thematischen Aufbau der Napút entsprechend finden Interessierte neben reichem Fotomaterial und Illustrationen des Graphikers Robert König Beiträge zur Sprache (Koloman Brenner), Literatur (Dr. Eszter Propszt und Helmut Herman Bechtel), zum Tanz (Helmut Heil), zum Theater (Tímea Faragó), zu unterschiedlichen kulturellen Einrichtungen (Mónika Ambach, Johann Schuth und Angelika Pfiszterer) und zur Presse (Angela Korb) der Ungarndeutschen. Außerdem sind Interviews mit zwei bekannten Persönlichkeiten der Minderheit abgedruckt, nämlich mit Elisabeth Knab, der Direktorin des Ungarndeutschen Bildungszentrums in Baje und der stellvertretenden Vorsitzenden der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen, sowie mit Jenô Kaltenbach, dem ehemaligen Ombudsman für Minderheitenrechte. In der Kritiksparte werden der Studienband „Regionalität und Fremde”, herausgegeben von András F. Balogh und Erhard Schütz, und zwei VUdAK-Bände rezensiert, nämlich Koloman Brenners „Sehnlichst” und die zweite Ausgabe der Sammlung „Stiefkind der Sprache” von Valeria Koch. In der Farb-Beilage sind Werke von den VUdAK-Mitgliedern Antal Dechandt und Ákos Matzon zu sehen jeweils ergänzt um kurze Analysen. Wudersch und Wetschesch nutzten das Angebot der Zeitschrift, sich in einem Sonderartikel vorzustellen.
Darüber hinaus weist diese Ausgabe zwei Besonderheiten auf. Einerseits finden sich darin die Ergebnisse der Umfrage „Was bedeutet es heute, im Jahre 2008, ungarndeutsch zu sein?” wieder, die frei zu beantworten war und mehrere persönliche O-Töne ins Heft brachte, andererseits läßt sich am Beispiel eines Schülerwettbewerbs, bei dem ungarndeutsche Autoren, in diesem Jahr Nelu Bradean-Ebinger, von Schülern der Nationalitätengymnasien übersetzt werden, nachvollziehen, mit welchen Mitteln Entdeckung und Bewahrung der deutschen Sprache und der ungarndeutschen Literatur im Unterricht kreativ erreicht werden können.
Der Untertitel dieser Themenausgabe mit ihrem rosmarinbedeckten, blauen Umschlag lautet: „…ungarndeutsch fortsetzen?”. Mit diesem Zitat aus dem bekannten Gedicht „Agonie” von Josef Michaelis wird auf ein grundlegendes Dilemma der Minderheit, wenn nicht gar auf die Agonie aller Minderheiten verwiesen: die sprachlich-kulturelle Assimilation. Die gewichtige Frage ist auf Vorder- und Rückseite des Heftes platziert, passend umrahmt von den gleichnamigen Gedichten „Ungarndeutsch” von Valeria Koch und Koloman Brenner, und soll alle Leser zum Nachdenken über das Minderheit-Sein anregen.
Die Ausgabe kann wegen ihres umfassenden Inhalts gleichermaßen als Nachschlagwerk an Schulen und in Bibliotheken oder auch als eine Art Anthologie in ungarischer Sprache für und über die Ungarndeutschen dienen. Ungarndeutsche Autoren und Künstler, bekannte Persönlichkeiten und Fachleute und insbesondere angehende Wissenschaftler, die sich mit Kultur, Sprache und Identität des Ungarndeutschtums beschäftigen, sollen der Mehrheitsbevölkerung vorgestellt werden; außerdem ist die Ausgabe wegen der fachorientierten Auswahl der Beiträge als themenübergreifendes Porträt der deutschen Minderheit in Ungarn zu verstehen.
Am Erscheinen der Ausgabe waren der Verlag Napkút, der Kulturausschuß der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen, die Selbstverwaltungen Wudersch und Wetschesch und das Institut für Auslandsbeziehungen e.V./ifa beteiligt, darüber hinaus haben der Verband Ungarndeutscher Autoren und Künstler/VUdAK, das Ungarndeutsche Kultur- und Informationszentrum und der Drei-Raben-Übersetzerkreis daran mitgewirkt.
Die Zeitschrift ist in größeren Buchhandlungen und Zeitungsverkaufsstellen erhältlich. Durch Präsentationen in mindestens drei Städten (Budapest, Seksard, Fünfkirchen), durch eine wirksame Aufbereitung der Veranstaltungen in den lokalen und deutschsprachigen Medien sowie durch die Weitergabe an Bibliotheken, kulturelle Einrichtungen und Bildungsinstitutionen soll sie an eine breitere Öffentlichkeit gelangen.
Die Präsentation im Haus der Ungarndeutschen findet voraussichtlich am 8. Oktober um 18 Uhr in zwei Sprachen statt. Geplant ist ein buntes Programm mit Musik, Lesung und Gespräch, ganz im Geiste der ungarndeutschen Minderheit.
VMR