Nicht in Stein gemeißelt VUdAK-Werkstattgespräche in Hidigut 2015
Die heurigen Werkstattgespräche in der Literatursektion des VUdAK waren für mich nicht nur ein angenehmes, sondern erneut ein lehrreiches Ereignis.
Als angenehm musste jeder Teilnehmer die tolerante Atmosphäre empfinden, in der die von den einzelnen Autorinnen und Autoren vorgelegten, noch nicht publizierten Texte von den anwesenden Dichterkollegen mit Verständnis, aber nicht ohne ernsthafte Vorschläge kommentiert wurden, worin sich auch der Respekt für die jeweilige Leistung äußerte. Diese Ernsthaftigkeit bedeutete aber keine Verbissenheit, sondern eine Balance zwischen dem Verständnis und dem Einfühlen in den anderen einerseits, und andererseits die Skizzierung – gegebenenfalls – der abweichenden Meinung.
Genauso unverkrampft und selbstverständlich war der Umgang mit der Tatsache, dass nicht alle Autoren etwas mitgebracht hatten. Schließlich waren sich alle Teilnehmer dessen bewusst: Das wirklich ambitionierte literarische Schreiben ist als Akkordarbeit nicht möglich, Kreativität ist nicht mit Gewalt erzwingbar.
Angesichts der engen Bindung der Texte der ungarndeutschen Literatur an das Selbsterlebte, indem in ihr die überwiegende Mehrzahl des Geschriebenen die innersten Gefühle und Gedanken der Verfasser reflektiert, hat man als Leser dieser Werke häufig das Gefühl, die einzelnen Dichterinnen und Dichter gut zu kennen, selbst wenn man sich bisher mit ihnen persönlich nicht viel hat unterhalten können.
Heuer präsentierten die Dichterinnen Christina Arnold sensible, nachdenkliche sowie bei allem Gefühl intelligent-frappierende Liebesgedichte und Csilla Susi Szabó eine in Thematik, Tonfall und Form gleichermaßen abwechslungsreiche Reihe von Dichtungen. Alfred Manz trug neben Lyrischem auch eine beeindruckende Erzählung mit dem Titel „Die Entscheidung“ vor, in der er bis tief in die Vergangenheit des Schicksals seiner Familie zurückging. Stefan Valentin stellte mit „Umbau“ erneut unter Beweis, dass er unleugbar über eine satirisch-ironische Ader verfügt, die er – sich dabei Problemen der Gegenwart zuwendend – auf kritische Weise gegen vorhandene gesellschaftliche Missstände richtet. Robert Becker schließlich las nicht nur Gedichte, sondern – was am spannendsten war – gab einen tiefen Einblick in den Stand der Arbeit an jenem, u. a. „Vom Gang“ betitelten Text, den er vergangenes Jahr im Rahmen der Werkstattgespräche im damaligen Zustand vorgestellt hatte und der noch nicht als abgeschlossen angesehen werden kann – was neugierig auf das kommende Jahr und die Frage macht, wie und in welche Richtung wird bis dahin der schöpferische Prozess weitergegangen sein.
Josef Michaelis, Robert Hecker, Béla Bayer und Nelu Bradean-Ebinger, die man allesamt als „arrivierte“ und/oder „erfahrene“ Dichter der ungarndeutschen Literatur bezeichnen kann, zeigten in den Werkstattgesprächen Aufgeschlossenheit und Verständnis gegenüber den vorgetragenen Texten. Nie drängten sie sich in den Vordergrund, um etwa belehrend aufzutreten, sondern zeigten sich stets als großzügige „Grandseigneurs“.
Für mich gab es über die Gespräche hinaus noch eine wertvolle Erkenntnis: Während für mich in meinem Beruf als Literaturwissenschaftler die Texte, mit denen ich sonst zu tun habe, als unveränderliche Grundlage jedweder Betrachtung angesehen werden (müssen), liegt ein weiterer großer Reiz der Werkstattgespräche in der unbefangenen Herangehensweise der Teilnehmer an die vorgetragenen Texte, die – mit der Absicht des Helfens kommentiert – in keinem Moment als in Stein gemeißelt angesehen, sondern als durchaus veränderbar aufgefasst wurden.
Gábor Kerekes
Neue Zeitung 33-34/2015