Neu gelesen: Georg Wittmann (1930 – 1991)
Zu Mariä Geburt
Do fliagn die Schwolbn furt.
DA beginne auch ich die Herbstwanderungen, und sie bringen mich auf Wagen- und Hotterwegen sowie auf Pfaden zu Fuß ringsherum in der engeren Heimat. Kirchweihfeste reizen mich nah’ und fern, Ortschaften, die ich der Reihe nach alljährlich besuche.
So liest man in dem „Wie’s herbstelt…“ betitelten Text von Georg Wittmann, der 1975 in der Neuen Zeitung erschien. Man würde allein auf Grund des Zitats wohl kaum erraten, wer der Verfasser war und wann diese tief in der Tradition verwurzelten Zeilen veröffentlicht worden sind. Der Schriftsteller, der hinter ihnen steht, ist eine bemerkenswerte Person. Er widersetzte sich in seinen Veröffentlichungen, deren überwiegende Mehrheit in eine Zeit fielen, in der die offizielle ungarische Kulturpolitik die Losung des so genannten „sozialistischen Realismus“ auf den Lippen trug, der damals geforderten Parteilichkeit, so auch dem Aufzeigen einer optimistischen Perspektive – mit anderen Worten: der Schönfärberei und Propaganda.
In vielerlei Hinsicht ist Georg Wittmann nämlich ein Autor, der deutlich von seinen ungarndeutschen Dichterkollegen abweicht: schon allein seine Fixierung auf die Prosa, ob es sich dabei konkret nun jeweils um eine Erzählung, einen Essay, eine Skizze oder einen Bericht handelte, weist ihm eine Sonderstellung zu, ist doch die ungarndeutsche Literatur der vergangenen Jahrzehnte dominiert von lyrischen Hervorbringungen.
Georg Wittmann stammte aus Promontor/Budafok und war zeit seines Lebens von der Geschichte im Allgemeinen und der seiner engeren Heimat im Besonderen fasziniert. „Prematur“ gab ihm immer wieder Ideen und Inspiration für seine Texte, so zum Beispiel auch für die Erzählung „Susi“, für die er den 3. Preis beim Literaturpreisausschreiben der NZ in Prosa im Jahre 1979 erhielt. Auf sehr sympathische Weise mystifizierte er die Entstehung seiner schriftstellerischen Werke nicht, sondern äußerte sich schon im März 1979 auf sehr direkte und natürliche Weise: „An schriftstellerischen Plänen mangelt es bei mir nie. Mir gehen im Kopf mehrere lustige Themen herum – und das ist wortwörtlich zu verstehen, denn viele meiner Werke entstehen während physischer Arbeit, beim Hacken im Weingarten zu Beispiel, sie reifen ähnlich wie Trauben.“
Dabei war ihm die Schriftstellerei ebenso nicht zugeflogen wie auch sein Leben ihm bittere Enttäuschungen bescherte: er hätte gerne Deutsch und Latein studiert, doch blieb ihm das Studium verwehrt, man ließ ihn nicht zu. So absolvierte er nach dem Abitur eine Lehre für Buchhaltung, Stenographie sowie Maschinenschreiben und er arbeitete danach in Budapest in der Maschinenfabrik Ganz MÁVAG bis zur frühzeitigen Pensionierung wegen eines Unfalls, als dessen Folge die Gefahr der Erblindung bestand.
Als die Neue Zeitung zehn Jahre alt wurde, begann Georg Wittmann zaghaft mit dem Schreiben, das er auch später noch in bescheidener Weise als Dienst für das Ungarndeutschtum betrachtete – so äußerte er sich zu seinem Schaffen und dem seiner ungarndeutschen Dichterkollegen: „Die kleinen Blüten unserer literarischen Bestrebungen sind nicht Resultate gelernter Gärtner. […] Suchet bei uns nicht die Pracht der Rosen! Schätzet bei uns unsere bescheidene Einfachheit, die dem Ungarndeutschtum dienen wollende, federführende Hand, das Herz, das schlägt und das in kleinen Stuben beim Schreiben mitschafft!“ (April 1980)
Sein wichtigstes Werk stellt sicherlich die Erzählung „Die Holzpuppe“ dar. Sie begleitete ihn während seiner gesamten schriftstellerischen Laufbahn und auch noch darüber hinaus, denn sie beschäftigte ihn bereits zu Beginn seiner literarischen Tätigkeit und ihr letzter Teil wurde erst nach seinem Tode in der Neuen Zeitung veröffentlicht. Er selbst berichtete 1973 in der NZ, dass der Plan der Erzählung sich bereits um 1970 zu entwickeln begonnen hatte. Zwischen dem Dezember 1973 und Januar 1974 erschien in Fortsetzungen der erste Teil der „Holzpuppe“, die dann später in der Anthologie gleichen Titels sowie in Georg Wittmanns selbständigem Band „Am Burghügel“ aus dem Jahre 1989 zu finden ist. Teil II, betitelt „Das Jahr der Flut“, wurde in der ungarndeutschen Anthologie „Bekenntnisse – Erkenntnisse“ aus dem Jahre 1979 und der abschließende Teil III, der „Schwarze Wolken“ heißt, wurde in der Neuen Zeitung am 28. September 1991 veröffentlicht. Georg Wittmann war zuvor am 29. 04. 1991 von uns gegangen.
Diese zu Recht bereits 1973 mit einer Auszeichnung gewürdigte Erzählung schildert auf eindrucksvolle Weise über Generationen und Jahrhunderte hinweg das Leben deutscher Siedler, die zur Zeit Maria Theresias nach Ungarn kamen, und das Schicksal ihrer Nachfahren, die zu Ungarndeutschen wurden. Im Zentrum steht dabei eine Holzpuppe, die die Siedler aus Deutschland mitgebracht hatten und die von Generation zu Generation weitervererbt wird, bis sie schließlich 1944 bei einem Bombenangriff verbrennt. In düster-traurigem Ton entfaltet die Erzählung das Bild des entbehrungsreichen Lebens, welches die Ungarndeutschen geführt haben. Wittmann betreibt keinerlei Schönfärberei, was ihm hoch anzurechnen ist. Der Verfasser äußerte 1973 zum Text: „Die Holzpuppe sollte und soll außerdem zur Traditionspflege mahnen. Dass sie umgekommen ist, das schreibe ich dem Kriege zu, in dem und als dessen Folge viele unersetzbare Schätze umgekommen sind. Die Holzpuppe soll uns diese Lehre erteilen, wir sollen nicht gedankenlos darüber hinweggehen.“ Der Teil mit der Vernichtung der Holzpuppe wurde noch vor der politischen Wende 1989/90 publiziert und Wittmann, der keine propagandistische Darstellung des Lebens der Ungarndeutschen nach 1945 im Sinne der staatlichen Kulturpolitik verfassen wollte, umging dieses Problem ja gerade, indem er die Puppe in der Handlung der Erzählung während des Zweiten Weltkrieges verbrennen ließ. Dadurch war die Geschichte der Holzpuppe – die ja eigentlich der Vorwand für die Darstellung des Schicksals der gesamten Volksgruppe über die Jahrhunderte hinweg gewesen war – zu Ende, und er musste nicht mehr auf die Zeit der „Volksrepublik Ungarn“ eingehen. Dennoch gibt aber der Erzähler zusammenfassend seinen Ausblick bis in die Nachkriegszeit, in der besonders die Vertreibung von 1947 eine große Bedeutung besitzt: „Das Rückgrat des hiesigen Deutschtums war hiermit gebrochen“, heißt es hierüber, durchaus zutreffend.
In diesem sowie in anderen seiner Texte gibt es kaum Dialoge, was vom Leser eine erhöhte Konzentration bei der Lektüre verlangt. Umso häufiger finden sich innere Monologe seiner Hauptfiguren und Bewusstseinsstrom in den in hochdeutschem Idiom verfassten ernsten Erzählungen.
Jedoch hat Wittmann auch eine humoristische Seite, die in seinen Mundarttexten zum Vorschein kommt. Und in dieser einen Hinsicht ist Georg Wittmann traditionell: in der Zuordnung des Humors zu Texten in der Mundart, so etwa in jener in der Mundartanthologie „Tie Sproch wiedergfune“ veröffentlichten Erzählung „Tar teiflischi Hund“.
Für die ungarndeutsche Prosa wird er mit seiner Ehrlichkeit und seiner kompromisslosen Darstellung des Schicksals der Ungarndeutschen immer ein eminent wichtiges Vorbild bleiben.
Gábor Kerekes
NZ 26/2013