Keine „Heilige Schrift“, sondern ein Material, mit dem man ringen und hart arbeiten muss
Dieser Tage muss ich besonders oft an Jochen denken… Ich erinnere mich an all das, was ich während der insgesamt nur wenigen Tage, wo ich ihn erleben durfte, von ihm lernen konnte. Was das Schreiben für eine Leserschaft (auch als Verantwortung) heißt, dass es keine Worte gibt, die man nur so „dahinsagen“ kann – und dass nichts nur einfach ein hohler Begriff sein darf, weil alles näher bestimmt werden kann und muss, damit das Geschriebene nicht als Gemeinplatz und Banalität erscheint, hat er mich belehrt. Er hat uns auch beigebracht, dass das, was man aufgeschrieben hat im Rausch der Muse, noch keine „Heilige Schrift“, sondern ein Material ist, mit dem man ringen und hart arbeiten muss…
Das, was Jochen als Unterricht, als Einführung in ewig gültige „Geheimlehren“ wohlwollend und freigiebig mitgeteilt hat, sei es vor dreißig Jahren gewesen, arbeitet bis heute in mir – mal bewusst, mal im Hinterkopf.
Sein Werk hat in den ungarndeutschen Autoren gewirkt, es fiel auf einen fruchtbaren Boden, was auch die Reihe der VUdAK-Publikationen, die man stolz betrachten und auch einer anspruchsvollen Leserschaft in die Hände geben kann, unter Beweis stellt.
Jochen führte bei den Werkstattgesprächen einen seriösen und freimütigen, offenherzigen Umgang in der Behandlung und der Diskussion unserer Texte ein. Das von ihm angebotene und geforderte Du hob die Distanz nicht nur zu ihm selbst als Instanz, sondern auch unter den Generationen ungarndeutscher Autoren auf.
Vor Jochen durstete es einen als Schreibenden nach Anerkennung – und wie schmerzhaft (bis zu Tränen) war es, als er einen Text, ein Gedicht „auseinander genommen“ hat. – Und wie froh und dankbar ich doch heute, im Nachhinein, für jeden von ihm „zerrissenen“ Text von mir bin!
Meister muss ich Jochen Haufe nennen, der nicht nur eines, nämlich sein eigenes Leben gehabt hat, sondern viele Leben in uns allen, über Ländergrenzen, Weltanschauungen und religiöse Gesinnungen hinweg. Sein Leben wird in uns allen weitergelebt, weil wir uns an ihn lebhaft erinnern (müssen).
Jetzt sitzt Jochen auf einer Wolke – mal über Cossebaude bei Dresden, mal über Bulgarien, der Toscana oder Griechenland, und wohl oft auch über Ungarn – und schaut auf uns herunter. Dabei möchte ich häufig seinen ehrlichen, tiefen Blick auf mir spüren, der mir stets treu davon sprechen wird, ob meine Worte noch richtig sind oder ich abirre von seiner Lehre.
In diesem Sinne verabschiede ich mich von Jochen nie. Er bleibt für mich erhalten. Aber auch für die jüngeren Generationen der Hand voll ungarndeutschen Autoren, die von seinen Worten leider nicht mehr zehren können, aber als Fördermittel und Stütze das von Jochen Haufe gestiftete Legat hinter sich wissen können.
Robert Becker:
An den Hüter der Worte
Nachruf auf Jochen Haufe
den Sinn der Worte
hast mir beigebracht
damit ich weiß
es gibt keinen harmlosen Begriff
und es gibt kein Wort das
ohne Gewicht nur schwebt
Wahrheiten sind Welten
die im Wort entstehen
und das Schweigen
läßt sich nicht rechtfertigen
weil das Endgültige
nur Worte besiegen
deine Stimme lebt fort in uns
und wird je in sich
formenden Worten bestehen
die wir denken in uns
oder aufschreiben bis auch wir
die Feder einst beiseite tun
mein Meister dir gedenke ich
in zäher Hoffnung
dass mein Schweigen
das an deine Worte nicht reicht
auf der Wolke wo du sitzt
deine Stille erfasst
NZ 33-34/2014