In memoriam Horst Lambrecht
Am 18. Juni ist Horst Lambrecht (Foto), Dozent am Lehrstuhl für deutschsprachige Literatur der Universität Fünfkirchen, gestorben. Wir veröffentlichen den Nachruf von Lehrstuhlleiter Prof. Dr. Zoltán Szendi.
Die Trauer, die unsere Schicksale auf individuelle Weise verbindet, ist nur in ihrer Gegenständlichkeit wahrnehmbar, als Blatt zum Beispiel, als Prüfungsliste, auf der nur ein Name stand, denn die anderen Prüflinge wussten schon, dass ihr Lehrer, Horst Lambrecht, schwer krank ist. Dieses Stück Papier, das wochenlang auf meinem Tisch lag, als seltsam-schmerzhafte Erinnerung an ihn, war zugleich ein Zeugnis von seiner Gewissenhaftigkeit. Denn er gehörte zu den Wenigen, ja zu den immer Wenigeren, die in der Lehre an der Universität alles mit größter Sorgfalt vorbereiten und gestalten. Ich habe mit ihm zusammen jahrelang geprüft und mit verblüffter Bewunderung gehört, mit welch zäher Geduld er versucht hat, sogar in diesen Augenblicken noch den Studierenden die faszinierenden Zusammenhänge der deutschen Literaturgeschichte beizubringen. Aber ich werde auch nie das Staatsexamen vergessen, wo bei der Diplomverteidigung ein junger Mann mit strahlendem Gesicht die Wahl seines Themas damit begründet hat, Herr Lambrecht habe eine glänzende Vorlesung über den Autor und die ganze Epoche gehalten. Eine größere Anerkennung kann ein Dozent nicht bekommen.
Warum wohl gerade Reiseliteratur sein Forschungsthema ist – fragte ich mich zunächst, obwohl die Antwort so nahe liegt: Das Erlebnis des Fremden war ja seine unmittelbare und tägliche Erfahrung. Der Blick auf das Fremde – so heißt ein längerer Aufsatz von ihm, in dem er die Begegnung der deutschen Reisenden mit dem Ungarn des 19. Jahrhunderts untersucht hat. War das nicht auch sein Blick auf uns – ein offener, vertrauter Blick, in dem aber manchmal notwendigerweise auch die kritische Distanz zu spüren war? Seine Weltgewandtheit, seine Urbanität hatten ihre Wurzeln nicht nur in der außergewöhnlichen Bildung, über die er verfügte, sondern auch in seinem Wanderleben, dessen letzte Station Fünfkirchen/Pécs war.
Er hat diese Stadt in sein Herz geschlossen und sich zur zweiten Heimat gewählt, ohne je von seinem Deutschtum etwas aufgegeben zu haben. Seine Hinwendung zur ungarndeutschen Literatur war – für mich zumindest – auch ein Bekenntnis, denn er konnte wohl in seinem eigenen Schicksal die doppelte Verbundenheit der einst nach Ungarn gekommenen Deutschen leicht nachvollziehen. So hat er mit tiefstem Engagement die vergangene und lebendige Kultur der Ungarndeutschen betreut – nicht nur im Unterricht, sondern auch außerhalb der Universität: Er hat Konferenzen und Lesungen organisiert und die begabte jüngste Generation der ungarndeutschen Dichter beständig gefördert.
Als ich ihn zum letzen Mal gesehen habe, saß er vor seinem Haus auf dem Hang des Berges, wo sich ein einmalig herrlicher Blick auf die Stadt und die umliegende Landschaft bietet. Es war ein stiller Sonntagnachmittag, beleuchtet vom Sommerlicht, als wir stundenlang über vieles gesprochen haben, nur über seine Krankheit kaum. Nicht aus Vorsicht, sondern weil er bis zum letzten Atemzug dem Leben angehörte. Vor dem Abschiednehmen holte er mir zwei Flaschen eigenen Wein aus dem Keller, mit der Bemerkung, dass er vielleicht nicht so gut sei, wie die früheren Jahrgänge. Damals wusste ich noch nicht, dass das der wertvollste Wein geworden ist, den ich je bekommen habe.
Noch vor seiner schweren Operation hat er mir anvertraut, dass er in seinem deutschen Geburtsort begraben werden möchte. Nun kehrt er wirklich in seine Heimat zurück, wohin wir ihn aber nicht mehr begleiten können; unsere Aufgabe ist, ihn in Pannonia in Erinnerung zu behalten, wo er so viele fruchtbare Jahre in unserem Kreis verbracht hat. Dafür danken wir ihm.