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Erika Áts: Lied unterm Scheffel

Von den ungarndeutschen Dichterinnen kann Erika Áts, 1934 als Friderika Bárczay geboren, getrost als die Grande Dame dieser Literatur bezeichnet werden. Anders als viele ungarndeutsche Autoren stammt sie nicht aus dem Dorfmilieu, dem traditionellen „schwäbischen” Umfeld, sondern war Kind einer ungarischen Großgrundbesitzerfamilie in Miskolc.
Im Herbst des Jahres 1944 wurde die Familie mit dem Debreziner Gestüt, wo ihr Vater in leitender Funktion tätig war, nach Deutschland, nach Württemberg evakuiert. Dort erlernte sie in den folgenden Jahren das Hochdeutsche, so daß sie mit dem sprachlichen Ausdruck keinerlei Probleme hatte. 1948 kehrte die Familie mit den geretteten Pferden nach Ungarn zurück. Die Belobigung, die ihre Mutter hierfür von der ungarischen Regierung erhielt, erleichterte Erika wohl die Zulassung zum Studium. Sie studierte von 1954 bis 1956 Germanistik an der ELTE in Budapest, heiratete danach 1957 Zoltán Áts.
Ab 1959 arbeitete Erika Áts als Maschinenschreiberin, dann als Referentin im Demokratischen Verband der deutschen Werktätigen in Ungarn. Sie wurde Journalistin, war von 1963 bis 1979 bei der Neuen Zeitung angestellt – zunächst als Mitarbeiterin, dann als Redakteurin und schließlich als stellvertretende Chefredakteurin.
Bei der Geburtsstunde der ungarndeutschen Literatur im Jahre 1974, dem Erscheinen der ersten ungarndeutschen Nachkriegsanthologie „Tiefe Wurzeln”, trat sie nicht nur als Herausgeberin, sondern auch als Dichterin in Erscheinung. Bis zum heutigen Tag, bis zur Herausgabe von „Lied unterm Scheffel”, gab es von ihr nur einen einzigen selbständigen Gedichtband, „Gefesselt ans Pfauenrad” (1981), ansonsten war sie in den ungarndeutschen Anthologien „Erkenntnisse Bekenntnisse”, „Igele, Bigele”, „Bekenntnisse eines Birkenbaumes”, im „Deutschen Kalender” und auch in der Anthologie „Erkenntnisse 2000″ mit Gedichten vertreten. Jedoch konnte der interessierte Leser bis heute lediglich Bruchstücke aus ihrem Schaffen kennen. Doch man ahnte, man spürte förmlich, daß von Erika Áts mit Sicherheit noch mehr Texte existieren müssen. Erlauben Sie dem Verfasser dieser Zeilen an dieser Stelle etwas unbescheiden zu sein und sich selbst zu zitieren: Im Jahre 2009 schrieb ich in der „Werischwarer Zeitung”, „[…] doch ist es erstaunlich und bedauerlich, daß es keine weiteren Gedichte von ihr im Druck gibt, da gerade die gedankliche Reife sowie die souveräne formale Art ihrer Lyrik ein umfangreicheres Werk vermuten lassen”. Der nun vorliegende Band bestätigt diese Vermutung nachträglich.
In „Lied unterm Scheffel” befinden sich bis auf wenige Ausnahmen Texte, die in Buchform noch nicht vorlagen. Es gibt – bis auf ein Beispiel – auch keine Überschneidung mit den Texten des Bandes „Gefesselt ans Pfauenrad”, in dem damals 51 Gedichte enthalten waren, während der jetzige Band 212 Texte aufweist, die von einer bemerkenswerten Kontinuität des Dichtens zeugen: ab 1975 ist aus jedem Jahr mindestens ein Text vorhanden, das jüngste Gedicht stammt aus dem Jahre 2010 – aktueller kann man gar nicht sein. Der Band ist also nicht einfach ein Museum alter Texte von Erika Áts, sondern zeigt die Dichterin als eine Lyrikerin der Gegenwart, die ihren Finger am Puls der Zeit hat.
Doch finden sich im Band auch viel früher entstandene Gedichte: aus den sechziger und sogar aus den fünfziger Jahren! Das heißt: also auch Gedichte, die nicht ins „Pfauenrad” aufgenommen worden sind, obwohl sie 1981 schon vorlagen. Sie wurden sicherlich seinerzeit ausgespart, weil sie nicht den Vorstellungen der damaligen Kulturpolitik von sozialistischer oder moderner Dichtung entsprachen.
Auf 280 Seiten finden sich 212 Gedichte, einige länger, andere kürzer. Dabei ist der Band in 7 Kapitel oder Einheiten, man könnte beinahe schon sagen, in Zyklen angeordnet, wobei jedes Kapitel eine thematisch-logische Übereinstimmung besitzt, über eine gedanklich-philosophische Konsistenz verfügt. So liest man z. B. in einem Kapitel sehr persönliche, intim gehaltene Gedichte über Emotionen und Liebe, in einem anderen hingegen Gedichte, die auf gesellschaftliche, auf soziale Fragen deuten und in einem anderen wiederum Porträts verschiedener Charaktere.
Über die Dichterin läßt sich angesichts der Lektüre folgendes feststellen: unübersehbar ist ihre Bildung, ihre Bewandertheit in der deutschen sowie der ungarischen Kultur, Hochkultur und Dichtung – aber nicht nur in dieser, denn neben Gedichtübersetzungen aus dem Ungarischen (Ady, József) sowie z. B. eines Gedichtes der Kroatin Katarina Gubrinski Takac finden sich viele biblische und lateinische Anspielungen, Hindeutungen nicht nur auf die abendländische Kulturgeschichte, sondern auch auf modernste, amerikanisierte Erscheinungen und Einwirkungen auf unser Leben. Selbstverständlich erhalten hierbei die Geschichte und Kultur Mitteleuropas viel Raum. Die thematische Vielseitigkeit von Erika Áts zeigt sich deutlich in ihren Gedichten, die sich auf die ganze Menschheit umfassende grundsätzliche Themen, auf konkrete politisch-humanitäre Inhalte, aber auch auf intime Aspekte wie Liebe, Freundschaft, Verlust und Trauer beziehen.
In der Lyrik kommt der formalen Seite der Werke auch eine besondere Bedeutung zu – und auch hierin ist Erika Áts sehr vielseitig. Man begegnet im Band sowohl der Anwendung der traditionellen Formen, die von einem Gedicht erwartet werden – d. h. etwa Rhythmus, Reim -, aber auch vielen Beispielen für moderne Lyrik, für den Gebrauch der freien Formen. Darüber hinaus gibt es auch ein Beispiel für ein Bildgedicht, also einen Text, in dem die typographische Anordnung der Wörter ein Bild ergibt. Für besonders gelungen halte ich auch jenes Gedicht, in dem das Ungarische mit dem Deutschen vermischt wird.
Und schließlich noch ein Gesichtspunkt, der nicht vernachlässigt werden sollte: Erika Áts ist im Tonfall eine vielseitige Dichterin, neben schwermütigen Gedichten finden sich nicht nur sachlich-neutral formulierte Texte, sondern auch ironische – eine Vielseitigkeit, die bei Dichtern nicht sehr häufig ist.
Zuletzt sollte noch etwas betont werden: selbst die beste Dichterin und der beste Dichter der Welt kann für das Publikum nur so gut sein, wie es ihre bzw. seine Herausgeber sind. Deshalb soll unbedingt die umsichtige Arbeit von Johann Schuth, Angela Korb und István Héra hervorgehoben werden. Nicht nur, daß mir keinerlei Fehler im Buch aufgefallen sind – was angesichts dessen, was heutzutage im ungarischen Buchwesen in den verschiedensten Publikationen anzutreffen ist, keine Selbstverständlichkeit mehr zu sein scheint -, sondern auch die für das Auge angenehme Anordnung der Gedichte, die Typographie des Bandes ist mehr als nur ansprechend.
Der Band „Lied unterm Scheffel” ist in gedanklicher Fülle, lyrischer Vielfalt, formalem Reichtum und repräsentativem Umfang ein Meilenstein der ungarndeutschen Literatur.

Gábor Kerekes

Das Buch „Lied unterm Scheffel” von Erika Áts können Sie per E-Mail vudak15@gmail.com oder über www.neue-zeitung.hu/publikationen bestellen.

NZ 11/2011


Gábor Kerekes bei der Präsentation des Buches von Erika Áts im Budapester Haus der Ungarndeutschen
Foto: Bajtai László