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Drei Minderheiten stellten sich in Dresden vor

„Zeitenwende 1989 – 2009” stand in großen Lettern auf einem Spruchband, das den Saal des Goethe-Institutes in Dresden schmückte. Thema des Treffens war die Lage der deutschen Minderheiten in Ostmitteleuropa, 20 Jahre nach der Friedlichen Revolution in der ehemaligen DDR und dem zeitgleichen Wandel in den Nachbarstaaten, die sich damals von der sowjetischen Vorherrschaft befreiten. Eingeladen hatte dazu der sächsische Landesverband des VDA (Verein für deutsche Kulturbeziehungen im Ausland), der in Dresden von Peter Bien, einem Nachfahren eines 1947 vertriebenen Ungarndeutschen aus Mesch, geleitet wird.
Als erste sprach Barbara Wallusch aus Oppeln in Polen. In ihrer Heimat Oberschlesien leben noch etwa 100 000 Deutsche. Bis zum Ende des 2. Weltkrieges gehörte das Gebiet zum Deutschen Reich. 1945 wurde es von der sowjetischen Armee überrollt; viele Einwohner, die nicht fliehen konnten, blieben – immer in der Hoffnung, irgendwann kehre Oberschlesien wieder in den deutschen Staatsverband zurück. Aber im Gegenteil: Die Oberschlesier wurden gezwungen, ihre Herkunft und ihre Kultur zu verleugnen. Deutsch zu sprechen war verboten. Zahlreiche Landsleute wurden in Lagern eingesperrt und ermordet. Erst in den 60er Jahren lockerte sich das System der Unterdrückung. Nach einem Abkommen mit der deutschen Bundesregierung konnten die ehemaligen deutschen Staatsbürger auch wieder einen deutschen Paß bekommen. Ende der 80er Jahre konnten sich die Deutschen in Oberschlesien auch wieder als anerkannte Minderheit organisieren. Nach der demokratischen Wende in Polen 1988/89 gelangten sogar wieder Abgeordnete in das polnische Parlament, den Sejm. Und in der Wojewodschaft Oppeln gibt es derzeit Dutzende von Bürgermeistern, 13 Landräte und 6 Abgeordnete im Provinzparlament. Barbara Wallusch, die an der Oppelner Universität arbeitet, schilderte in hervorragendem, akzentfreiem Deutsch aber auch die großen Schwierigkeiten und Gefährdungen. Das Hauptproblem ist, daß das jahrzehntelange Schweigenmüssen zum Verlust der deutschen Sprache geführt hat. Zwar hätten die Oberschlesier heutzutage die Chance, Deutsch zu lernen, aber die Jüngeren fahren lieber nach Deutschland, England und Niederlanden, um dort mit ihrem deutschen Paß zu arbeiten und Geld zu verdienen. Die Älteren hingegen sind durch Jahrzehnte lange Entbehrungen zu müde zum Lernen. Wichtig für den Erhalt des Deutschtums seien aber Sprache und Kultur. Noch gibt es nur wenige Schulen mit (bilingualem) Deutschunterricht, ein deutsches Gymnasium sei im Aufbau. Allerdings haben sich in den überwiegend von Deutschen bewohnten Dörfern die Kindergärten mit Muttersprachunterricht entwickelt. Barbara Walluschs Fazit: Noch ist nicht alles verloren, aber es kostet viel Kraft (und Geld), die Zukunft der Minderheit zu sichern.
Als zweite kam Blanka Muralowa aus Aussig/Usti nad Labem in der Nähe zur sächsischen Grenze zu Wort. Dort lebten bei Kriegsende etwa 40.000 Deutsche. Der Name Aussig steht auch für ein grausames Verbrechen: Im Juli 1945 rollte eine Welle der Gewalt gegen die noch nicht geflohenen oder vertriebenen Sudetendeutschen. Eine Explosion in einem Munitionslager in der Nähe wurde zum Anlaß genommen, über 1000 Deutsche zu ermorden. Seit 2005 erinnert eine Gedenktafel auf der Brücke an das schreckliche Geschehen. Ähnliche Vorfälle gab es auch anderswo in Böhmen und Mähren. Die tschechische Regierung aber stellt sich taub, wenn Wissenschaftler und Nachfahren der Opfer auf eine schonungslose Aufklärung drängen. Dennoch komme nach den Worten von Blanka Muralowa die Aufarbeitung der schlimmen Geschehnisse langsam voran. Auch hierbei liegt Aussig ziemlich vorn. Die Stadtverwaltung habe für ein künftiges großes Museum zur Geschichte der Deutschen in den böhmischen Ländern ein Gebäude zur Verfügung gestellt. 2011, spätestens 2012, soll es seine Pforten öffnen. Dann wird es erstmals seit Jahrzehnten wieder eine umfassende Schau über das wechselvolle Zusammenleben von Tschechen und Deutschen in Böhmen geben.
Als dritte war Angela Korb an der Reihe. Die Bildungsmöglichkeiten – vom zweisprachigen Kindergarten über zweisprachige Klassenzüge in Schulen und Gymnasien bis zu deutschen Studiengängen – sind, nach der Ansicht der Gesprächsteilnehmer, bewundernswert. Die Entschuldigung des Staates hinsichtlich der Vertreibung und der Diskriminierung in den Nachkriegsjahren, verbunden mit teilweise Entschädigungen für Enteignungen, sind beispielhaft in Europa. Besonders aufmerksam nahm man zur Kenntnis, was Angela Korb zur Förderung der ungarndeutschen Kunst, Kultur und Literatur darlegte. Natürlich wurden auch die Probleme nicht vergessen: Viele gute Projekte zittern um ihr Überleben, weil die große Krise die Mittel geraubt hat. Ein weiteres Problem deckt sich mit den Sorgen der Oberschlesier: Die Muttersprache wird auch heute noch vernachlässigt, viele junge Leute ziehen vom Land, wo die Schwaben ja ihre Stammheimat haben, in die großen Städte. Dort läßt es sich bequemer leben, dort gibt es interessante Arbeits- und Studienmöglichkeiten. Doch dort wird dann auch nur noch Ungarisch gesprochen.
Wie also mag es generell weiter gehen mit den deutschsprachigen Minderheiten in Mittelosteuropa? Bei auch sehr großzügiger Hilfe und Förderung, die sie in der 20 Jahren seit der Friedlichen Revolution erhielten, ist ihre Zukunft ungewiß. Es sei denn, die Menschen selbst erfüllen ihr Sprachendasein wieder bewußt mit Leben.

Volker Petzold


Blanka Muralowa, Barbara Wallusch und Angela Korb
Foto: Heinz Noack