Brief aus Dresden Sprache ist Heimat
Alle Jahre wieder, an einem Wochenende im Herbst, wird Sachsen zum Vorposten der deutschsprachigen Minderheiten in Mittel- und Osteuropa. Zum zweiten Mal trafen sich die geladenen Gäste im Goetheinstitut Dresden. Zum zweiten Mal war als Vertreterin der Ungarndeutschen die ungarndeutsche Autorin Angela Korb dabei. Das Treffen stand unter dem Motto „Grenzenlos – deutsche Minderheitenliteraturen” und war vom VDA, dem Verein für Deutsche Kulturbeziehungen im Ausland, veranstaltet worden.
Offensichtlich wollte man damit dem gewachsenen Interesse an der Minderheitenkultur im ehemaligen Ostblock nachkommen, nachdem die rumäniendeutsche Herta Müller im vergangenen Jahr Literatur-Nobelpreisträgerin geworden war. Doch der guten Absicht folgte leider ein unvollkommenes Ergebnis. Drei Autoren waren eingeladen worden, um aus ihren Werken zu lesen: Norbert Weiß, Eva Rex und eben Angela Korb. Die beiden erstgenannten sind Dresdener: Norbert Weiß wurde 1949 in der Elbestadt geboren, Eva Rex kam zwar 1969 im polnischen Kattowitz zur Welt, doch schon als Dreijährige zog sie als Kind einer Spätaussiedlerfamilie mit ihren Eltern nach Deutschland. Lediglich Angela Korb war tatsächlich die Vertreterin einer deutschen Minderheit im Ausland. Und sie hatte es auch deshalb besonders schwer mit ihren Lesestücken, die sie unter die Dachzeile „Sprache ist Heimat” gestellt hatte. Das Publikum verstand sie einfach nicht. Ihre Werke waren zum Teil in der Muttersprache ihrer Heimat in der Branau abgefaßt. Nur wenige Gäste, wie der seit der Vertreibung 1948 in Sachsen lebende Wissenschaftler, Prof. Dr. Heinrich Oppermann, selbst ein Kind der Branau, kamen damit klar. „Schade, daß Angela Korbs schöne und kluge Worte im Unverständnis hängen blieben,” sagte er kopfschüttelnd. „Im Prinzip ging es doch an diesem Tag eher um sie und ihre Werke als um die Geschichten der beiden anderen.”
Dabei war das, was Norbert Weiß unter dem Titel „Nahe Mohács”, eine Erinnerung an die Schlacht der Ungarn gegen die Türken am Ende des Mittelalters, vortrug, zumindest eng verbunden mit der ungarndeutschen Heimat Angela Korbs, Fünfkirchen und Umgebung. Doch er war als von der EU bezahlter Tourist dorthin gereist und hatte seine Erlebnisse beschrieben. Ein älterer Teilnehmer des Treffens fragte dann auch klar und deutlich, was denn seine Zeilen mit dem Minderheitenthema zu tun hätten. Aber immerhin: Es ging um die Schwaben der Branau. Und sogar Angela Korb kam in seinen Geschichten als handelnde Person vor.
Noch komplizierter war die Einordnung dessen, was Eva Rex vortrug. Die Dresdnerin las aus einer Erzählung über einen Urlaub in Italien vor. Seitenlang ging es um die freundschaftliche Beziehung der jungen Frau zu einem Italiener. Sie schauten sich Fotos an, auf denen der Vater von Eva Rex im Krieg zu sehen war, als er in Italien stationiert war. Als Oberschlesier wechselte er dort die Seiten, von der deutschen auf die polnische. Die Dresdnerin trug ihre Zeilen in perfektem Deutsch vor, aber was hatte das mit der Minderheitenproblematik zu tun.
Nein, da paßte schon eher Angela Korbs lustige Geschichte „Blutwurst mit Sauerkraut”, deren Hauptperson ein Vegetarier ist, in den Rahmen der Veranstaltung – und ihre im Branauer „Schwobisch” verfaßten Muttersprachentexte. Denn dabei wurde zumindest klar, was es heißt „Sprache ist Heimat”.
Volker Petzold
Foto: Heinz Noack